3,5 Pfund gute Gedanken, bevor es los geht...

Jede zweite Frau in Großbritannien steht laut BBC "unter Druck". Immer mehr Burn-Out-Fälle kurz vor Weinachten, schreibt die Süddeutsche. Hektik, Stress, Panik... Macht Weihnachten neuerdings auch  noch krank? Oder werden kurz vor Weihnachten diverse psychosomatische Leiden sichtbarer?

 

Vor mir in der Schlange bei meinem Lieblings-Bio-Dealer zum Bestellen des Raclette-Käse zu Weihnachten stand dieser Tage ein junger Mann. Nachdem er für seinen Festschmaus eingekauft hatte, sagte er: "Ach ja, und bitte noch dreieinhalb Pfund gute Gedanken. Es darf gerne etwas mehr sein." Das brachte mich auf eine Idee...

 

Ja, ich kenne in meinem direkten Bekanntenkreis einen Menschen - nennen wir ihn für diesen Blog einfach mal Lars -  der von Herzen gerne zwei Dinge tut: Erstens das ganze, große Unglück dieses Lebens und auf der Erde beweinen und zweitens ständig auch ohne Geschehnisse von aussen selbst vor Leid und Mitleid zerfließen. Vor Weihnachten nimmt das bei ihm deutlichere Formen an. Er findet - nicht zuletzt auch aufgrund der vielen Spendenaufrufe - eine Menge Futter für dieses Programm in seinem Gehirn und bei einem Treffen mit ihm folgt garantiert unmittelbar nach dem "Hallo, wie geht's so?" das unvermeidliche: "Haaaaach, ich frage mich manchmal, was die Leute sich dabei wieder gedacht haben..." oder "Hast Du schon gelesen, was dort und da wieder furchtbares passiert ist." (Die Stammleser dieses Blogs wissen: Ich weiß es definitiv nicht, denn ich betreibe nach wie vor konsequentes Nachrichtenfasten.)

 

Zudem gibt es einige Fälle in seiner eigenen, direkten Familie, die nachhaltig für übelste, zwischenmenschliche Erfahrungen sorgen und überhaupt hat er in seinem Leben bis jetzt eine Menge Pech gehabt, traf immer die falschen Leute, ließ sich gutgläubig auf die falschen Projekte ein und wurde unter Garantie auch später dafür bestraft. Übernahm das Bestrafen kein anderer, sorgte er schon selbst dafür. Und die meisten Menschen sind ja zu einem einzigen Menschen am garstigsten überhaupt: Zu sich selbst. 

 

Nur, dass wir das klar haben: Lars ist ein Schatz. Er würde sein vermutlich sein letztes Hemd ausziehen und hergeben, wenn er bemerkt, dass ein anderer Mensch leidet und lieber selbst schlotternd in der Kälte sitzen oder stehen. Er sieht toll aus (wenn auch oft etwas angespannt), hat viele tolle Fähigkeiten und ist ein kreativer, liebender Vater. Die Trennung von der Mutter seiner Kinder hat ihn - was Frauen angeht - deutlich verbittert und leider hatte er auch in der darauffolgenden Beziehung zu einer Patchwork-Lebensgefährtin und ihrem Kind kein großes Glück. Die zweite Trennung binnen recht kurzer Zeit bestätigte seinen Glauben daran, dass er sich nur auf sich selbst verlassen kann und jetzt mit wenig Geld, vielen Versagensgedanken und dieser bösen Welt, in der nur Kälte und Krieg herrschen, irgendwie klar kommen MUSS.

 

Lars findet an jeder Ecke, in jedem Kiosk, in jedem Gespräch mit Kollegen Beweise dafür, dass dieses Leben ein Fass ohne Boden ist. Und es ist egal, wen er trifft - das Unterhaltungsthema landet wahlweise beim Bejammern noch schlimmerer Schicksale von anderen, die er gerade wieder bei youtube oder in der Nachbarschaft mit eigenen Augen sah - oder bei all den kleinen und größeren Katastrophen, die in den letzten Tagen in seinem eigenen Leben stattgefunden haben.

 

Meine vorsichtige Frage, ob es für ihn gerade auch irgendwas schönes gibt, irgendwas worauf oder worüber er sich freut, kommt mit einem in Falten gezogenen Gesicht die Antwort: "Ganz ehrlich? NEIN. Klar - meine beiden Kinder sind super. Die bleiben in diesem Wirrwarr so stabil und ich bin so leer und ausgebrannt - ich ziehe das nur für die beiden durch. Die sind es mir wert, dass ich weiterkämpfe." 

 

Puuuh... geübte oder bereits trainierte Sprachzauberer unter meinen Lesern lesen aus dieser Aussage eine Menge heraus. 

Und dann kommt Weihnachten. Das Fest der Liebe. Angeblich. Lars bezieht auch hier konsequent Stellung. Für seine Kinder würde er alles möglich machen - da die Mutter allerdings nicht versteht, warum dieses oder jenes Geschenk wichtig ist oder dass sie gefälligst in Lars Sinn vor Ort sein oder Weihnachten in bestimmter Weise feiern sollte, "kämpft" er sich eben auch durch diese Feiertage durch und rettet alleine für die Kinder die B-Note. 

 

Und ja, wenn ich auf Lars treffe (was in letzter Zeit seltener geworden ist), triggert mich seine Konsequenz auf merkwürdige Weise. Ich würde mir so sehr für ihn wünschen, dass er wieder damit beginnt, die Augenblicke seines Lebens so zu gestalten, dass er mehr Freude für sich darin generiert. Und Lars lebt nun mal sein Leben - er ist schon groß. Er trifft seine Entscheidungen und das ist auch gut so. Ich weiß das. Und irgendwie erinnert er mich an Ängste, Gefühle und Bedürfnisse, die ich selbst auch habe und an meine eigenen Zweifel, wie gut in meinem Leben immer alles ist.

 

Viele, viele Blogposts habe ich im Jahr 2017 geschrieben. Und wer mich kennt, der weiß: Ich schreibe immer freehand - also "von der Leber weg", mit dem Herzen auf der Zunge und so, wie ich Dinge im Leben wahr nehme. Ich habe keinen Plan für meine Themen. Ich freue mich, wenn mir genau der richtige Impuls unterwöchig begegnet und dann schreibe ich was dazu.

 

Diese Woche war der Impuls eine kurze whatsapp von Lars. Ich vermute, dass Lars mir eine Freude machen wollte. Er schickte mir ein BBC-Feature, in dem englische Frauen ab 65 Jahre aufwärts mit dehr trauriger Miene erklären, was sie in ihrem Leben anders machen würden, wenn sie es noch einmal zu leben hätten. Die meisten sprechen davon, ihre Babies öfter in den Arm genommen zu haben, ihren Kindern mehr Zeit zu schenken oder mindestens jede Woche einmal in der Disco tanzen gegangen zu sein. 

 

Da habe ich erst einmal tief eingeatmet, bevor ich Lars ein Danke und ein yeah und ein "go for it" zurück geschrieben habe. Denn die Schwingung dieses kurzen Videos ist soooo traurig und verzweifelt... mir persönlich fehlten erst einmal die Worte. Und es passt zu Lars und wie er im Augenblick lebt.

 

Nur für uns: Diese Frauen sprechen so, als sei das Video eine Art testamentarische Verfügung und ein mahnendes Denkmal für alle Frauen dieser Welt. Kümmert Euch (noch mehr) um Eure Kinder! Geht einmal in der Woche tanzen! Denn soooo schnell ist Euer Leben vorbei und dann sitzt ihr vor einer BBC Kamera, so wie wir, und es ist für alles zu spät. Püüüüüüüüh. Ausatmen mit Geräusch.

 

Hilft diese Aufforderung? Ich schätze, dieses Video wird viral verbreitet - also nicht nur ich werde dieses (in meiner Welt) zweifelhafte Geschenk an Weihnachten bekommen. Und hunderttausende von Frauen werden tränenreich daran erinnert, dass sie sich nicht nur von anderen Menschen und "der Gesellschaft" unter Druck setzen lassen - sondern es nach dem Angucken der dramatischen Testimonials auch selbst wieder übernehmen. Das Druck machen. Jawohl!

Männer übrigens auch. Lars ist ja einer.

 

Und Lars? Nun - es ist die alte Geschichte. Lars würde, wenn er gefragt wird, sicher sehr vehement behaupten, dass er sehr gerne ein schöneres, entspannteres, lustigeres Leben leben würde. Und noch im gleichen Satz würde er Dir schildern, dass es 1000 (gute) Gründe gibt, warum er das nicht kann. Und ich glaube ihm jeden einzelnen davon.

Das Wissen um all diese Gründe, angefangen bei traumatischen Ereignissen in seiner eigenen Kindheit bis zu vielen, vielen unglücklichen Zufällen und es böse meinenden Menschen in seinem Leben tun allerdings auch eins:

Sie lassen keine anderen Götter neben sich zu.

Nicht in Lars Leben. Und vermutlich kennst Du auch einige dieser Menschen.

 

Wie nun könnte Lars an den anstehenden Weihnachtstagen doch noch so etwas wie eine liebevolle und festliche Zeit erfahren? Was würdest Du tun?

Letztlich haben wir alle ja eine Menge zu erledigen und zu erleben. Mit uns, dem Leben, der Liebe, der Familie, dem Beruf, den Freunden, den Bekannten und Verwandten, den Vereinen und unserem Schicksal.

Warum sind dann einige Menschen, die auch eine Menge Dinge gleichzeitig bearbeiten und Herausforderungen in ihrem Leben haben, irgendwie trotzdem in der Lage, "es sich gut gehen zu lassen" - und andere nicht? Und was machen die Menschen anders, die mitten in heftigsten Lebenslagen ein schönes Fest, entspannte freie Tage oder einfach jeden Tag irgendwie etwas gutes erfahren - und das auch ausstrahlen?

 

Ich klammere Alkohol und andere harte Drogen jetzt mal aus - denn eine Dauerlösung stellt das Vergiften eines Organismus nicht dar. Auch das wissen wir vermutlich alle. Was also tun? 

Erst mal vorweg: Viele Menschen glauben, dass sie, sobald sie einem Freund oder Bekannten wie Lars begegnen, dass sie dringend irgend etwas unternehmen sollten, um diesem Menschen zu helfen. 

Beraten? 

Tolle Ideen haben?

Ihn und seine Kinder zum Weihnachtsfest einladen?

Ein Geschenk kaufen?

Wie gut funktionierte das in der Vergangenheit?

 

Ja, einem Menschen materielle Werte stiften, wenn es ihm oder ihr gerade in diesem Bereich schlecht geht, ist das eine sinnvolle Maßnahme (eventuell wären viele vorweihnachtliche Spenden auf den Konten allein erziehender Mütter oder Väter, Studenten oder Krankenpfleger sogar ganz gut angelegt). Das stiftet zumindest kurzfristig etwas Entspannung. Eventuell wäre das sogar immer noch besser, als ein teures Parfum oder eine Thai-Massage zu schenken, wenn es beim Beschenkten an ganz anderen Stellen "mangelt". 

 

Mein Gedanke war zuerst: Wie gut werde ich es mir persönlich denn an Weihnachten (und nicht nur dann) gehen lassen? Bin ich bereits Profi im mich entspannt freuen und die schönen, festlichen Momente wahrnehmen, die die Nation mir an diesen Tagen bietet? 

Ich spreche nicht von einer Geschenke-Flut. Ich spreche von: Wie hätte ich es denn gerne?

Hast Du Dir diese Frage schon gestellt?

 

Auf unsere Aufforderung hin, uns das "ideale Weihnachtsfest" zu schildern, bekamen wir ganz berührende E-Mails. Und auffällig war, das die meisten Autoren unter unseren Lesern ihr Weihnachtsfest deutlich anders feiern, als sie es uns schilderten. Anstatt mit ihrem Mann oder ihrer Frau am Nordseestrand spazieren zu gehen, wird doch wieder der große Küchen-Bohai gefahren und bis zur letzten Sekunde alles mögliche zu Hause vorbereitet. Oder anstatt in die Sonne zu fliegen und mitten im Winter die Akkus aufzuladen, wird doch die ganze Familie eingeladen und das Geld für den Urlaub fließt in die Ausrichtung des Festes, das von ihnen erwartet wird.

 

Wer setzt hier wen unter Druck? Und wem von Euch gelingt es in diesem Jahr schon, die Tage bis zum 24.12. und danach weiter, mit viel Genuss und Fröhlichkeit zu füllen?

Und für wen? Und für was? Und unter welchen Umständen?

Und wenn Dir das blendend gelingt, wie machst Du es? 

In dem Augenblick, in dem Du das klar hast, würde ich an Deiner Stelle bei einem Menschen wie Lars vorrangig dafür sorgen, dass er oder sie sich etwas entspannen kann.

 

Vielleicht gelingt es Dir, das Gespräch auf ein schönes Thema zu lenken. Zum Beispiel: Wie sehr werden seine Kinder sich an Weihnachten über den Tannenbaum und die Geschenke freuen? Und wie toll ist es, dass Lars Zeit hat, das neue Spielzeug mit seinen Kindern zusammen auszuprobieren? Oder wie lecker wird das Essen? Oder wie schön ist der große Baum auf dem Marktplatz in der Stadt, auf dem der Weihnachtsmarkt stattfindet und wie toll, dass jeder ihn umsonst bewundern und ansehen und schöne Fotos machen kann? Und wie viele Optionen bietet das neue Jahr, um schon einige Kleinigkeiten etwas schöner und entspannter zu gestalten, als im vergangenen Jahr? Und was würde Lars sich am meisten für sich und seine Kinder wünschen, wenn am 31.12. eine gute Fee auf seinen Knien landet und ihm sagt: Du hast jede Menge Wünsche frei. Von klein bis groß.

 

Vielleicht überlegst Du Dir auch sehr wach, welche "viralen" Videos Du über Deine Social Media Wege an andere Menschen weiter gibst und welches Geschenk Du ihnen mit den Bildern oder Botschaften wirklich machen willst? Betroffenheit, noch mehr Druck, Leid, Traurigkeit...? Oder versendest Du Mutmachendes? Positiv-berührendes? Fröhliches? Witziges? 

 

Gute Gedanken bei einem Bio-Markt mit einzukaufen ist das eine - sie sich und anderen zu schenken das andere. Die kosten ja nichts. Du verwendest schlichtweg Dein Gehirn darauf.

 

Lars feiert natürlich nicht alleine Weihnachten. Seine Eltern richten das Fest mit ihm gemeinsam aus und sicher werden allesamt herrlich schmausen und das traditionelle Weihnachten erleben. Und ich würde mich riesig freuen, wenn das nächste Jahr für Lars ein Jahr wird, in dem er sich wieder aufmacht. Aufmacht auf die Reise seines Lebens und schöne Überraschungen erlebt. Und dass er wieder mehr lacht. Und mehr Gutes um sich herum wahrnimmt. 

 

Und nötigenfalls werde ich mal ein Wort mit meinem Bio-Dealer sprechen, ob es nicht doch sinnvoll wäre, gute Gedanken pfundweise anzubieten. Natürlich kostenlos zum Einkauf dazu. Ein Kunden-Bonus-Programm. Denn mein Bio-Dealer ist der beste Witze-Erzähler des Rheinlands und eine echte Frohnatur. Vermutlich verkauft er auch deshalb so gut, weil die Menschen ausschließlich wegen ihm in einen Bioladen gehen. Einfach nur, um sich von ihm in Sachen Raclette-Käse beraten zu lassen. Er zwinkert ihnen zu, macht ihnen ein Kompliment, liebt seine Kunden von ganzem Herzen und seinen Job - den liebt er sowieso. Das ist ihm auch anzumerken.

 

Wir wünschen Dir, lieber Leser, dass Du die Herrlichkeiten und guten Gedanken der letzten Tage dieses Jahres wahrnehmen kannst, dass Du sie bemerkst und sie innerlich mit schönem, bunten Geschenkpapier einpackst. Dann binde um diese "virtuellen" Geschenke ein Schleifchen und genieße Deine freien Tage, das Treffen mit der Familie, den frischen Duft von Tannengrün und den leckeren Duft von Essen in Deiner Wohnung.

Und die Dezembersterne am Himmel - die beachte bitte ganz besonders. Viele Menschen sagen ja, das wir im Wintersternenhimmel ein Echo auf unsere wahren Wünsche erleben können, wenn wir sie dorthin aussprechen. Go for it.

 

FROHE WEIHNACHTEN.

 

Bis zum nächsten Mal.

Miri und Florian